"Schwarz-Weiß-Denken reicht nicht mehr"

Du bist am 1. August 1972 in die IG Metall eingetreten, also seit 48 Jahren dabei. Konntest Du die Ideale, die Du als junger Mensch verfolgt hast, verwirklichen?

Melo: Größtenteils! Was mich in der Rückbetrachtung getrieben hat, war der Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital. Es ging mir von Anfang an um mehr Mitspracherechte von uns Beschäftigten. Wir haben immer für Verbesserungen gekämpft, mit vielen Erfolgen – wie bei der Verkürzung der Arbeitszeit, der Einführung eines neuen Entgeltsystems und der Reformierung der Berufsausbildung. Vor allem aber hat sich die Welt immer weiter gedreht: mit beispielsweise der Wiedervereinigung, der anschließenden Verschärfung eines globalisierten Kapitalismus und neuen Wellen von Rationalisierung und Digitalisierung – bis heute zur Globalherausforderung des Klimawandels. Ich glaube, dass ich mir meine Ideale aus Jugendzeiten größtenteils erhalten habe. Aber gemeinsam mussten wir immer wieder neue Antworten finden.

Verglichen mit dem Beginn Deiner Amtszeit, was hat sich in den Betrieben und auch in der Gewerkschaft in den letzten Jahren verändert?

Die gewerkschaftlichen Aufgaben – für unsere Betriebsräte, Vertrauensleute wie für Hauptamtliche – sind komplexer geworden. Schwarz-Weiß-Denken reicht nicht mehr. Wir haben die Lernprozesse angenommen und uns in viele Gestaltungsprozesse hereinbegeben, zum Beispiel für Gute Arbeit 4.0. Früher haben wir uns als Gewerkschaft schwerer getan mit Veränderungsprozessen, beispielsweise bei der Computisierung der 80er und der ersten Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Viel zu lange hatten wir gar keine eigene Position zur Gestaltung der Gleitzeit. Heute wissen wir, dass wir solche Impulse aufnehmen müssen – aber um sie im Sinne der abhängig Beschäftigten zu gestalten. Nein-Sagen alleine reicht heute nicht mehr!

Wie siehst Du das Verhältnis zwischen den Hauptamtlichen in der IG Metall und den vielen Ehrenamtlichen, den Betriebsräten und Vertrauensleuten in den Betrieben?

Die Hauptamtlichen sind heute weniger diejenigen, die alleiniges Gesetzeswissen haben oder politische Predigten halten. Die Rolle der Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre ist es heute, gemeinsam mit unseren betrieblichen Aktiven funktionierende Konzepte und zukunftsfähige Strukturen zu erarbeiten. Bausteine dabei sind Tarif- und Betriebspolitik sowie offensive betriebliche Mitbestimmung. Um hier voran zu kommen, brauchen wir intensivere Teamarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen. Die Hauptamtlichen stehen in der Verantwortung für Bildungsarbeit, hochqualitative Zuarbeit und Unterstützung bei Schwerpunktsetzungen in einer immer komplexeren Arbeitswelt. Mit unseren ehrenamtlichen Funktionärinnen und Funktionäre – ob im Betriebsrat, der JAV, Schwerbehindertenvertretung oder im Vertrauenskörper – steht und fällt die betriebliche Gewerkschaftsarbeit. Interessenvertretung auf der Höhe der Zeit heißt auch, dass Ehrenamtliche stärker selbst Verantwortung übernehmen, Vorschläge machen und Prozesse mitgestalten. Gemeinsam müssen wir solche Entwicklungen unterstützen und begleiten. Die aktuelle Kampagne „IG Metall vom Betrieb aus denken“ setzt hier genau richtig an.

Wo gab es Niederlagen? Was ärgert Dich heute noch?

Eine der größten Niederlagen war der Verlust von circa 1000 Arbeitsplätzen durch die Werksschließung von Hella in Paderborn. Das war deshalb so ärgerlich, weil es sich dabei um das modernste Hella-Werk handelte, das hier auch mit langjährigen Beschäftigtenbeiträgen (durch Tarifabweichung) finanziert worden ist. Hinzu kommt die unsinnige Schließung des Paderborner Fujitsu-Entwicklungsstandorts mit 600 hochqualifizierten Beschäftigten. Beide Erfahrungen haben für mich verdeutlicht, dass Tarifabweichungen keinen Standort sichern. Beschäftigtenbeiträge ergeben nur Sinn, wenn sie mit einer nachhaltigen Beschäftigungsperspektive und Zukunftsinvestitionen verbunden sind.

Was war vielleicht Dein schönstes Erlebnis während Deiner Amtszeit?

Es gab viele sehr schöne Erlebnisse. Hervorheben lässt sich die Umsetzung der 24-Stunden-Streiks mit vier Betrieben in Paderborn. Weitere Höhepunkte waren die Nachtschicht-Streiks bei Benteler – unmittelbar nach der Beendigung der Friedenspflicht. Darüber hinaus hat es mich sehr erfüllt, viele junge Menschen in der ersten Phase ihrer hauptamtlichen Tätigkeit zu begleiten und Jugendarbeit insgesamt zu unterstützen.

Was möchtest Du uns abschließend noch mitgeben?

Insgesamt war die Rolle als Bevollmächtigter nur dank einer starken ehrenamtlichen und hauptamtlichen Unterstützung möglich. Für die Treue von circa 11000 Mitgliedern und besonders die Unterstützung durch alle Betriebsrätinnen und -räte, Vertrauensleute, den Ortsvorstand, das Geschäftsstellenteam und auch Kooperationspartnerinnen und -partner möchte ich mich herzlich bedanken! Ich bin mir sicher, dass diese Geschäftsstelle auch zukünftig ihren positiven Beitrag zur Entwicklung der gesamten IG Metall leistet. Ciao a tutti!

Herzlichen Dank für dieses Interview und Dir alles Gute! Bleibe gesund und genieße den neuen "Unruhestand"!